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Jelena Bonner (1923-2011)

Mit dem Ende der Ausstellung zum Leben von Jelena Bonner beendet das Sacharow-Zentrum am 16. April 2023 seine Arbeit in den Moskauer Gebäuden am Zemlyanoy Val 57 — Vorerst. Hoffentlich. Nur vorübergehend.

Bild: Yad Vashem

Leben für das Licht der Freiheit

Auf der Bildungsplattform Demokratischer Salon mein Longread zum Leben der Menschenrechlerin, jüdischen Aktivistin und Antikommunistin Jelena Bonner (1923-2011).

Für ihr Engagement und als Partnerin (ab 1970) von Andrej Sacharow wurde sie beispiellos antisemitisch verfemt: in der Sowjetunion, in der DDR, auch bei „antiisraelischen“, pro-kommunistischen oder einfältigen Linken im Westen.
Bis heute gibt es keine Korrektur des Bonner-Bildes in der Linkspartei. In Deutschland gibt es noch immer keine kommentierten Textausgaben, keine Ausgabe der Tagebücher oder von Briefen z.B. an Heinrich Böll.
1992 die letzte Ausgabe von „Mütter und Töchter. Erinnnerungen an meine Jugend 1923-1945.“
In Russland dagegen bis 2021 einige Materialbände mit Arbeiten von Bonner, auch als Kritikerin Putins ab 1999.
Die Handlanger des Putinismus zerstören derzeit in Russland ihr Erbe und das von Andrej Sacharow.
In Deutschland, in Frankreich, in Polen, in den USA, in Israel gibt es einige Intellektuelle, die das Erbe erhalten wollen.

Ein Leben für das Licht der Freiheit
Jelena Bonner zum 100. Geburtstag am 15. Februar 2023 – dort auch Liste der aktuellen Literatur

Gemeinsame Wohnung Jelena Bonner/Andrej Sacharow (1971-80, 1986-89) in der 5. Etage ul. Zemlianoi val, 48B, app. 62

Dort (bisher) das Sacharow Archiv und wenig entfernt das Sacharow-Zentrum
Die Ausstellung zum 100. Geburtstag von Jelena Bonner wird die letzte nach über 30 Jahren demokratischer Arbeit dort sein: Eröffnung am 15. 2. 2023 um 18:00 Uhr

Bild: Sacharow-Zentrum 2023

Aktuelles und aktuell Gefundenes zu Jelena Bonner

Christine Schmidt: Biographie, auf fembio (mit Texten und Videos)

Marko Martin: Die Dissidentin
(Siehe dessen: Dissidentisches Denken
Reisen zu den Zeugen eines Zeitalters (Aufbau, 2019) in der Jüdischen Allgemeinen

Outside the comfort zone: performances and discourses of privacy in the late socialist Europe (Berlin, 2020)
Christina Jüttner u.a. zu Bonner S. 245-284

Tatjana Kuschtewskaja. Am Anfang war die Frau (Düsseldorf, 2017) S. 269-286; Zeichnungen von Janina Kutschtewskaja

Zum 100. Geburtstag von Andrej Sacharow (SWR2, 21. 5. 2021)

Aktuell dazu (Januar 2023) – Porträt Andrej Sacharow

Борис Альтшулер,  Леонид Литинский, Андрей Сахаров,
Елена Боннэр и друзья: жизнь была типична, трагична и прекрасна (сборник)

Boris Altschuler, Leonid Litinsky, Andrej Sacharov, Elena Bonner und Freunde: Ein typisches Leben: tragisch und schön (Zusammenstellung), 704 Seiten; zahlreiche Erinnerungen, Artikel, Dokumente über und von Jelena Bonner (1923-2011)
Verlag AST Moskau 2020

Online verfügbar


SWR2 Radio – ab sofort Online: auch auf dem SWR youtube-Kanal
Meine neue Annäherung ans Leben von Andrej Sacharow (1921-1989) und dessen Forderungen zur Schaffung eines Rechtsstaates in der Sowjetunion, der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, für die Freiheit, zu Menschenrechten, Informationsfreiheit und Umweltschutz. Mit einer Einordnung zu Fragen von Identitätspolitik und Freiheit von Ulrike Ackermann. In den (Facebook) Kommentaren ein tagesschau- Interview von Fritz Pleitgen mit Sacharow aus dem Sommer 1975.


Die Radiodoku (ebenfalls Original SWR2, 28 min) von 2012, mehr zu Physik und Aktuellen, den Moskauer Protesten vom Frühjahr 2012 weiter auf soundcloud.

1991: Fremdenangst im Osten als Hort linker/rechter Populisten

… angesichts der vielen Kommentare, die ich so über Chemnitz lese, poste ich hier noch einmal einen Artikel von mir aus „vorgänge“ von 1991.

Damals hatte ich mich (erst in Leipzig, dann als Student an der Berner Universität) mit der Frage beschäftigt, wie ein ziviler Alltag im Osten möglich sein könnte. Der rechte Terror war ja bereits sichtbar. Die Entwertung der osteuropäischen Dissidenten in vollem Gange.  Dass die einfache Ausdehnung der Bundesrepublik in Richtung Osten dort nur sehr langsam eine Alltagsdemokratie bringen würde oder gar zur Ablösung des allgegenwärtigen Fremdenhasses beitragen könnte, war (für mich) deutlich sichtbar.
Ich habe jetzt den alten Artikel von 1991 herausgewühlt: Vorgänge : Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Jg. 30, H. 3 = 111, 1991, S. 58-68, ISSN: 0507-41:
hier der Artikel als pdf:
http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/46190

Schon noch lesbar, der Politologenjargon war wohl damals nicht zu verhindern.

Doch damit nicht genug. Im Sommer 1991 moderierte ich eine (der ersten?) Podiumsdiskussionen im Leipziger Rathaus zur Frage, wie jetzt mit dieser deutlich sichtbaren Ausländerfeindlichkeit umzugehen sei. Veranstaltet vom ersten Leipziger Ausländerbeauftragten und als Experten hatte ich gewonnen: Claus Leggewie (damals wohl noch kleiner Forscher in Bielefeld?). Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Beim Versuch, für die als Veranstaltungsreihe geplanten Gespräche (es wurde keine Reihe) die Friedrich-Ebert-Stiftung zu gewinnnen, erntete ich nur (freundlich ausgedrückt) Achselzucken. Die FES hatte damals gerade ein schickes Büro in Innenstadtlage am Dittrichring bezogen. Ich forsche nicht danach, wer damals der Büroleiter war, der diese schwere „Aufbau“-arbeit im Osten übernommen hatte. Der seine Überraschung nur schwer verbergen konnte, wohl dachte, will dieses Ossiwürmchen uns hier aufdrängen, welche Themen wir hier betreiben sollen. Letzter Satz ist natürlich reine Spekulation 😉

Und so gingen die Jahre dahin … Und jetzt sind wir wieder bei den hilflosen Chemnitz – Erklärungen angekommen, alle hätten dort eben ihre Kindheit in kollektivistischen Kindergärten verbracht, die fehlende christliche Erweckung im Osten würde eben ihre Folgen zeitigen (etc.),  und dem folgenden „Schock“ über die gut vernetzten Rechtsradikalen in Sachsen.  Dabei hätte man das alles wissen können: 1991, 1992, 2001, 2010, 2018…

50 Jahre danach: Sacharows „Reflexionen…“ (Размышления…) in der New York Times, 22. Juli 1968

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Andrej Sacharow (1921-1989), Aufnahme ca. 1970

Am 22. Juli 1968 erscheint Sacharows Selbstverständigungstext „Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit“ auf den Seiten 14-15-16 der New York Times — zuerst am 6. 7. /13. 7. weniger beachtet in der niederländischen Zeitschift Het Parool.

Am 9. August (Übersetzung aus dem Englischen) in der ZEIT.  Ende 1968 erscheint der Text (übersetzt aus dem russischen Original) mit zahlreichen Artikeln u.a von Böll und einem eigenartigen Nachwort von Max Frisch im Diogenes-Verlag:  unter dem Titel „Wie ich mir die Zukunft vorstelle.“
KGB-Chef Jurij Andropow wußte von dem Text seit April 1968, am 22. Mai 1968 hatte er das ZK der KPdSU darüber informiert (Rubinstein/Gribanov. The KGB File of Andrei Sakharov, Yale Univ Press 2005). Wohl kaum jemand im sowjetischen Führungszirkel rechnete damit, dass das Manuspript so schnell in den Westen gelangen könnte, dass Sacharow es wagen könnte, sich „auf die andere Seite“ zu stellen.  Dabei war der Text in der Diktion und in den vorgeschlagenen politischen, sozialen und ökonomischen Schlussfolgerungen alles andere als „anti-sowjetisch“. Erst fünf Jahr später wendet sich Sacharow endgültig von Sowjetsozialismus ab.
Siehe mein Artikel dazu in osteuropa (2014).

Aus aktuellem Anlass, speziell auch dazu mein SWR2 Radio Feature (2012): Metamorphosen eines Kämpfers. Begegnungen mit Andrej Sacharow (nicht mehr auf den ARD Seiten) —  hier zu hören
Zum 100. Geburstag: am 21. Mai 2021 eine weitere SWR2 Radiodoku mit Blick auf die Sacharow-Rezeption im Westen vor 1989.

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Titelseite der Schrift mit handschriftlichen Ergänzungen Sacharows in der Ausstellung des Sacharow-Archivs Moskau [Foto: Michael Hänel, 2012]

Osteuropa 12/2014 Sacharow: „Zwischen allen Stühlen“

DSC_0158 Sacharow Buch 1968 Weiterlesen

Andrej Sacharow Andrei Sakharov Андрeй Сахаров SWR/ARD radio feature 2012

Final stage of writing narration / compiling draft proposal of ARD/SWR2 radio feature on „Andrei Sakharov today“ with direct quotes/sound originals by Andrei Sakharov (1921-1989), Yelena Bonner (1923 – 2011),  Michail Gorbachev, Yuri Andropov  (1914 – 1984), Richard Lourie and interviews with Bela Koval (Sacharov Archive), Gennady Gorelik, Michael Schaaf, Fritz Pleitgen, Natalia Pelevine and background music of the 1980s and sound bites of perestroika films.