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Staatsfeind Israel SWR2 2. 10. 2020

Staatsfeind Israel – Antisemitismus in der DDR

Die DDR gilt noch heute als „antifaschistischer Staat“. Ihr Gründungsmythos versprach eine Gesellschaft, die die nationalsozialistische Herrschaft überwand, indem sie den Kapitalismus im Osten abschaffte.
Während in der DDR die Helden des kommunistischen Widerstands verehrt wurden, wollte sich kaum jemand mit den Tätern und den Taten der Judenvernichtung auseinandersetzen. Als „Sieger der Geschichte“ wähnte man sich befreit von Schuld und Verantwortung. Und mehr noch: Der Staat Israel wurde ab 1965 von der DDR-Regierung und ihren Partnern im Nahen Osten sogar gezielt bekämpft. (Text SWR)

Sendung am Fr, 2.10.2020 8:30 Uhr, SWR2 Wissen
Mit Tönen (in der Reihenfolge des Auftrittes) von Walter Ulbricht, Moshe Dayan, *Rolf W. Schloss, Thomas Ahbe, Gideon Rafael, Anja Thiele, Jeffrey Herf, Thomas Haury

Audio; dort auch das Sendemanuskript

Eine Quellen-/Literaturliste hier bald
*Rolf W. Schloss war 1967 ARD-Korrespondent in Tel Aviv

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Persönliches zum Thema

DDR-Kommunisten auf der Allenby St
Nachdenken über Spätwirkungen des Israel-Hasses in der DDR

Befehl Nr. 798 an die Juden in Tel Aviv:
Das Stadtgebiet von Tel Aviv wird mit sofortiger Wirkung formell ins Staatsgebiet der Vereinigten Arabischen Republik  eingegliedert. Alle Juden im Gebiet des Ägyptischen Gebietes Palästina benötigen ab sofort eine schriftliche Genehmigung zur Ausreise. Die frühere Allenby Straße wird in Allee des 5. Juni umbenannt.  Wirkung von heute an. General-Gouverneur Munam Abdul Husaini


Eine alternative Geschichte aus dem Sommer 1967.  So ist es nicht passiert. Die früheren Newsweek-Autoren Richard Z. Chesnoff, Edward Klein und Robert Littell beschreiben in ihrem Buch „If Israel Lost the War“ (New York, 1969) den Sommer 1967, als hätte Israel den 6-Tage-Krieg verloren. 
Hat es aber nicht.  Israel siegte im 6-Tage-Krieg.

Pikant ist an dieser alternativen Geschichte:  Die DDR, der Verbündete der Vereinigen Arabischen Republik, wird im Buch von den arabischen Eroberern auserkoren, die Umgestaltung der Landwirtschaft im ehemaligen Israel hin zu sozialistischen Produktionsgenossenschaften zu bewerkstelligen.
 
Junge deutsche Kommunisten wären dann mit Feiereifer und Bau, auf! – Liedern ans Werk gegangen. Sie hätten wieder Wohnungen von Juden, diesmal in Tel Aviv bezogen, hätten deren Hausrat unter sich aufteilt.  So wie 30 Jahre zuvor ihre Eltern und Großeltern im Deutschen Reich.

Es ist so nicht passiert. Doch niemand hätte 1967 die DDR-Aufbauhelfer von diesem Projekt abgehalten. Das „Neue Deutschland“ und die NBI, die aktuelle kamera, alle hätten berichtet.  Die junge kommunistische DDR-Aufbaugeneration hätte ihre Helden an der nahöstlichen Arbeitsfront gefeiert.  Als einen Teil der weltweiten, progressiven Bewegung, die Imperialismus und Kolonialismus trotzte. Linke im Westen, selbst einige kommunistische Juden in der DDR hätten wohl nicht dagegen protestiert.

Die Juden in Tel Aviv hingegen, wenn sie denn Glück gehabt hätten, wären wieder in alle Welt verteilt worden. Aber es ist so nicht passiert.  Sehr zum Ärger der DDR-Führung.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist rede-ulbricht-wenn-es-nach-uns.jpg.
Walter Ulbricht: Leipziger Rede am 15. Juni 1967
















„Wenn es nach uns … gegangen wäre…“ erklärte Walter Ulbricht am 15. Juni 1967 in einer Rede seinen begeisterten Anhängern in der Leipziger Messehalle 2, dann hätte es keinen 6-Tage-Krieg gegeben. Dabei hatten die sozialistischen Staaten gemeinsam eine zügellose Aufrüstung allein der ägyptischen Armee seit 1965 betrieben, die ihrerseits und jederzeit bereit war, die Gründung des Staates Israel mit Mord und Vertreibung rückgängig zu machen. [Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED, Berlin 2002, S, 473-505]

Dazu ist es nicht gekommen. Doch die Friedenserzählung Walter Ulbrichts in Sachen Israel war in der Welt. Also die vom Sozialismus der DDR und der Sowjetunion als vermeintliche Garanten des Friedens.  Und das wurde weiterzählt, über Jahrzehnte unverändert in der DDR. Bis heute hört man bei Linken vom „Friedensstaat DDR“ und dass die „Linke verspricht, Friedenspartei zu bleiben“ (Neues Deutschland, 2. 9. 2020).  Die in höchstem Maße militaristische DDR, Waffenexporte der DDR in Kriegsgebiete bis hin zur heutigen Unterstützung „kämpfender Kommunisten“ im Krieg Russlands in der Ukraine (Rosa Luxemburg Konferenz 2016) lassen zumindest Zweifel an dieser verlautbarten Friedenspolitik aufkommen.   

Und auch nach 1967 lebten Ulbricht und Westlinke nicht auf verschiedenen Planeten. Sie waren Zeitgenossen. Sie waren Kampfgenossen. Sie agierten gemeinsam mit ihren späteren PLO Outlets in Ost und West.  
Ein Beispiel: Die Publikationen Palästina Dokumentation Nr. 3.: Zionismus und Rassismus (Herausgeber Liga der Arabischen Staaten, Bonn 1975) und Palästina und der Zionismus (Herausgeber Solidaritätskomitee der DDR, Berlin 1983) machen sich nicht einmal die Mühe, ihre gemeinsame Herkunft zu verschleiern.  
Bis heute ist es ein Tabu, vom Einfluss der DDR-Wissenschaft auf die Westlinke zu sprechen. Man habe, so der zumeist empörte Ausruf, bereits vor 1989 überzeugend widerlegt, dass die Einflussnahme der DDR auf die Westlinke, insbesondere die des Ministeriums für Staatssicherheit nur kranken Hirnen ewig-gestriger Antikommunisten entsprungen sein könne.
[Wolfgang Wippermann, Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus, Berlin 2012]
Und tatsächlich gibt es nur wenige Versuche, diese Einflussnahme substanziell zu belegen.
Ganz sicher in der West-Friedensbewegung in Gestalt von linken Vorfeldorganisationen bis zum MfS-Konstrukt der „Generale für den Frieden“, bei der Weitergabe von Stasi-erobertem Material bis hin zum Text des SDI-Vertrages der Bundesrepublik mit den USA.
[Siehe Maruhn/Wilke; De verführte Friedensbewegung. Der Einfluss des Ostens auf die Nachrüstungsdebatte, München 2002]
Und eben bei der Einwanderung des Israel-Hasses in die linken Bewegungen im Westen, ließen sich evtl. die erfolgreichen Einflussnahmen belegen. Es wäre zu wünschen, wenn diese Belege künftig verstärkt gesucht würden.

Sicher ist, die Publikationen der DDR-Orientforschung mit ihren antisemitischen Hasstiraden gegen Israel sind 1989 nicht plötzlich abgetaucht, verschwunden. Im Gegenteil.   
Martin Robbe (Jg. 1932) war in der DDR zuletzt stellv. Leiter des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Akademie der Wissenschaften und Autor zahlreicher Bücher zu Israel.
Die Bücher waren gefüllt mit Hass auf Israel und geprägt von einer wendigen Rechtsfertigung des Terrors der PLO.  
Bis heute stehen die Bücher von Martin Robbe in Universitätsbibliotheken in der Bundesrepublik (Ost und West).

Bücher Autor: Martin Robbe, CAU Universitätsbibliothek Kiel 2020


Und so kann der Israel-Hass der DDR historisch nicht hinreichend gebildeten junge Studenten im heutigen Westen erreichen.
Man stelle sich junge Studenten vor, in deren Abiturausbildung weder die DDR noch die Sowjetunion oder gar die Geschichte Israels wesentlich vorkamen. Man stelle sich vor, diese Studenten lesen Martin Robbes Buch „Scheidewege in Nahost“ (Militärverlag der DDR, 1982): [Universitätsbibliothek Tübingen Signatur: 28 A 2025; Universitätsbibliothek Kiel Ak 8674+002]

 Israel übernahm erneut die Funktion, „Speerspitze“ des Imperialismus in Nahost zu sein. Die Israelis waren darangegangen – das ordnete sich ihrer aggressiven Politik ein, aus dem Oberlauf des Jordan, vor seinem Eintritt in jordanisches Gebiet, Wasser zu entnehmen und nach Südisrael zu leiten.

Und dann folgen seitenweise Erklärungen, die Israel im Lichte der DDR-Erzählung darstellen, als das Böse, die arabischen Nachbarn als das Gute im antiimperialistischen Kampf.  
Im ganzen Buch gibt es kein Wort zur deutschen  Judenvernichtung oder zum Holocaust als Urgrund der Gründung des Staates Israel, statt dessen DDR-Faschismus-Sprech in Reinkultur:

Die Faschisten hatten mit dem zweiten Weltkrieg die bis dahin größte Katastrophe für die Menschheit heraufbeschworen. Die Statistiken bestätigen dies: 50 Millionen Tote hatte der Krieg gefordert, darunter 20 Millionen Sowjetbürger. Die Juden hatten eine erschütternde Bilanz zu ziehen. Ungefähr 6 Millionen von ihnen, etwa ein Drittel aller Juden in der Welt, hatten den Tod gefunden.  (S. 114)

Von „Imperialismus“ hatten diese Studenten in den üblichen Vorlesungen zu Postkolonialen Theorien bereits gehört.  Dort auch von den Ideen eines der Begründer Postkolonialer Theorien, dem (zeitweiligen) Funktionär palästinensischer Terrororganisationen, Edward W. Said (1935-2003).  Dort hörten sie evtl. auch vom angeblichen Kolonialstaat Israel.
[Siehe kritisch dazu Meron Mendel/Tom David Uhlig, Challenging Postcolonial : antisemitismuskritische Perspektiven auf postkoloniale Theorie, 2017]

Und diese Studenten hatten mutmaßlich nie zuvor von Lenins Schrift
(1916) Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus gehört, noch hatte sie von der Kanonisierung Leninscher Schriften zu kolonialen Fragen in der DDR erfahren.

Dabei ist genau diese Kanonisierung Lenins das theoretische Rüstzeug des DDR-Autors Martin Robbe zur Beurteilung Israels. Indem er Lenin zitiert, dass „die gegenseitigen Beziehungen der Völker“ nur als „Kampf einer kleinen Gruppe imperialistischer Nationen gegen die Sowjetbewegungen“ (Lenin, 1920) zu verstehen ist.  Lenin wörtlich im Text von Robbe: „Wenn wir das außeracht lassen, dann werden außerstande sein, auch nur eine einzige nationale oder koloniale Frage richtig zu stellen, selbst wenn es sich um den entlegensten Winkel der Welt handelt.“ (Robbe, 1982, S. 161; zitiert aus Lenin Werke, Bd. 31, S. 229)
Für die DDR-Orientwissenschaft der 1980er Jahre war Lenin nicht irgendeine Position dieses oder jenes Autors. Lenin gehörte (nach damaligem Wortsinn) zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus;  jeder Satz Lenins war somit wissenschaftliche Wahrheit. Im Idealfall wurde die Wahrheit des Klassikers mit Beispielen aus den aktuellen Begebenheiten belegt. Das brachte Beifall innerhalb der Glaubensgemeinde ein.
Und so folgerte Martin Robbe nur wenige Zeilen später:
„Der Befreiungskampf der Araber, der die Unterstützung anderer revolutionärer Kräfte, vor allem der sozialistischen Staaten hatte und hat, wurde in der zionistischen Politik, hinter der imperialistische Mächte standen und stehen, mit dem Versuch konfrontiert, die alten Verhältnisse der sozialen und nationalen Ausbeutung und Unterdrückung aufrechtzuerhalten.“

Von all diesen Strukturen von DDR-Wissenschaft, davon ahnt unser angenommener Student nichts. Sie/er nimmt es als normalen Text.
Damit könnte die DDR-Idee Martin Robbes vom angeblich „antikolonialen Befreiungskampf der Palästinenser“, Jahrzehnte nach 1989, wieder in Hirne und Herzen dieser Studierenden einsickern.  Für ideologischen Nachschub, für die immer wieder aufgewärmten antisemitischen Klischees, wäre wieder einmal gesorgt.  

Auch wenn der von Chesnoff/Klein/Littell beschriebene Alptraum einer arabischen Eroberung Tel Avivs im Sommer 1967 nur im Buch stattgefunden hatte. 

Allenby St Ecke King George St Bild: Michael Hänel, November 2019

1991: Fremdenangst im Osten als Hort linker/rechter Populisten

… angesichts der vielen Kommentare, die ich so über Chemnitz lese, poste ich hier noch einmal einen Artikel von mir aus „vorgänge“ von 1991.

Damals hatte ich mich (erst in Leipzig, dann als Student an der Berner Universität) mit der Frage beschäftigt, wie ein ziviler Alltag im Osten möglich sein könnte. Der rechte Terror war ja bereits sichtbar. Die Entwertung der osteuropäischen Dissidenten in vollem Gange.  Dass die einfache Ausdehnung der Bundesrepublik in Richtung Osten dort nur sehr langsam eine Alltagsdemokratie bringen würde oder gar zur Ablösung des allgegenwärtigen Fremdenhasses beitragen könnte, war (für mich) deutlich sichtbar.
Ich habe jetzt den alten Artikel von 1991 herausgewühlt: Vorgänge : Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Jg. 30, H. 3 = 111, 1991, S. 58-68, ISSN: 0507-41:
hier der Artikel als pdf:
http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/46190

Schon noch lesbar, der Politologenjargon war wohl damals nicht zu verhindern.

Doch damit nicht genug. Im Sommer 1991 moderierte ich eine (der ersten?) Podiumsdiskussionen im Leipziger Rathaus zur Frage, wie jetzt mit dieser deutlich sichtbaren Ausländerfeindlichkeit umzugehen sei. Veranstaltet vom ersten Leipziger Ausländerbeauftragten und als Experten hatte ich gewonnen: Claus Leggewie (damals wohl noch kleiner Forscher in Bielefeld?). Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Beim Versuch, für die als Veranstaltungsreihe geplanten Gespräche (es wurde keine Reihe) die Friedrich-Ebert-Stiftung zu gewinnnen, erntete ich nur (freundlich ausgedrückt) Achselzucken. Die FES hatte damals gerade ein schickes Büro in Innenstadtlage am Dittrichring bezogen. Ich forsche nicht danach, wer damals der Büroleiter war, der diese schwere „Aufbau“-arbeit im Osten übernommen hatte. Der seine Überraschung nur schwer verbergen konnte, wohl dachte, will dieses Ossiwürmchen uns hier aufdrängen, welche Themen wir hier betreiben sollen. Letzter Satz ist natürlich reine Spekulation 😉

Und so gingen die Jahre dahin … Und jetzt sind wir wieder bei den hilflosen Chemnitz – Erklärungen angekommen, alle hätten dort eben ihre Kindheit in kollektivistischen Kindergärten verbracht, die fehlende christliche Erweckung im Osten würde eben ihre Folgen zeitigen (etc.),  und dem folgenden „Schock“ über die gut vernetzten Rechtsradikalen in Sachsen.  Dabei hätte man das alles wissen können: 1991, 1992, 2001, 2010, 2018…

Die DDR und Nordkorea (aktueller Einwurf)

Aktuell dazu ist gerade erschienen mein Einwurf „Der Koreakrieg und der rote Fuchs“ – über die Geschichtspropaganda der DDR in Sachen Nordkorea und wie heute offenbar bei (einigen) Linken an diesen Wahrheiten nicht gerüttelt werden soll –  im Korea Forum 2015 (erschienen April 2016): hier der Text als pdf (alle Rechte beim Korea Forum).